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Rezensionen – Willkür

Wyatt hat Zweifel. An sich und seiner Arbeit. Ständig ist er auf Reisen. Seine Projekte laufen nicht mehr gut. Er sehnt sich nach einem trauten Heim. Wyatt ist schon über 40, Single und weiß nicht so richtig, wie das Leben weitergehen soll. Jedenfalls wird es immer mühsamer. Obwohl er in seinem Fach einer der Besten ist. Ja, das kommt einem bekannt vor, die Welt ist unsicher geworden. Überall heißt es, dass Biografien nicht mehr stringent verlaufen. Bemerkenswert daran ist: Der australische Autor Garry Disher erfand diese Figur schon vor zehn Jahren, und Wyatt ist nichts anderes als ein Berufsgangster, spezialisiert auf präzis geplante Raubüberfälle. „Crosskill“, in der deutschen Ausgabe „Willkür“, ist der vierte Band in der Wyatt-Reihe, die bei Pulp Master im Maas Verlag erscheint. Disher hat seinem Helden wieder einen Hauch Ambivalenz verpasst. Es sind genau diese Momente, die Wyatt sympathisch machen: die Müdigkeit, die Melancholie, sein Arbeitsethos und seine Genauigkeit, die ihn nicht vor dem Scheitern bewahren. Aber man kann „Willkür“ genauso gut als einen präzis komponierten Thriller lesen. Wyatt hat mit einer Melbourner Autoschieber-Familie noch eine Rechnung offen, die ihn um die Früchte seiner Arbeit, sprich um 200 000 Dollar, gebracht hat. Doch während er seinen Coup plant, hat das Syndikat in Sydney ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt – unter solchen Bedingungen kann kein Gangster der Welt vernünftig arbeiten. Mit seinem Freund Jardine startet Wyatt zum Gegenangriff. Die Geschichte wird richtig kompliziert, da korrupte Bullen, verräterische Komplizen und eine Mutter, die ihren Neo-Nazi-Sprössling vor dem Knast bewahren will, ihm ins Handwerk pfuschen. Rasant laufen die Handlungsstränge aufeinander zu. Zwei weitere Romane mit dem Gangster sind bei Pulp Master in Planung, im nächsten kommt der Freiberufler mit der Regierung in Konflikt.
-Joachim Schneider

Immer wieder eine Bereicherung sind natürlich auch die Bände des nicht minder kleinen Maas-Verlags, der in seinem schmalen pulp master-Programm höchst zuverlässig einen Band nach dem anderen um Garry Dishers kriminellen Helden Wyatt herausbringt. Der Australier Disher ist mit konventionelleren Werken wie „Der Drachenmann“ inzwischen zu Ruhm, besserem Einkommen und – fast möchte man sagen: leider – größerer Ambition gekommen, sein Meisterstück aber bleiben die Wyatt-Bände. Wyatt ist, obwohl Berufsverbrecher, ein weit weniger schurkischer Charakter als Patrick Bomans Kolonialpolizist Peabody. Er macht diesen Job, weil er ihn kann. Er verdient damit sein Geld und fertig. Er bemüht sich, keinen unnötigen Schaden anzurichten und behält auch und gerade dann die Nerven, wenn es um Leben und Tod geht. Was er allerdings gar nicht brauchen kann, sind Leute, die ihm ins Handwerk pfuschen, wie das Syndikat von Melbourne, das ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hat. Und schon gar nicht brauchen kann er das, als die Vorbereitungen eines komplizierten Rachefeldzugs gegen den Mesic-Clan anlaufen. Es ist also Schwerstarbeit zu leisten: Das Syndikat muss umgestimmt werden – keine einfache Sache. Wyatt sucht die Hilfe eines alten Freundes in Melbourne, gründlich mischen die beiden die Geschäfte der Mafia auf. Das Vorhaben, die Gangster von ihrem Kopfgeld abzubringen, scheint zu gelingen, aber leider geraten ein paar Unwägbarkeiten ins Spiel, die dafür sorgen, dass die Rechnung nicht so leicht aufgeht, wie erhofft. Dishers Ethos als Autor ist dabei dem seiner Figur durchaus zu vergleichen: Keine Fisimatenten. Kein überflüssiges Herumpsychologisieren, Moralisieren oder Aufpolstern durch überflüssige Nebenhandlungen. Der Job wird professionell und glaubwürdig durchgezogen, die Details stimmen, die Handlungsfäden sind straff gespannt, der Thrill ist hoch. Ein auch der kongenialen Übersetzung wegen gänzlich ungetrübter Lesegenuss für den Freund härter gestimmter Kriminalliteratur. Zwei weitere Bände sind bereits angekündigt: Her damit!
Perlentaucher: Mord und Ratschlag von Ekkehard Knörrer

Wyatt, inzwischen 40 Jahre alt, kann auf eine 20-jährige Karriere als Berufsverbrecher zurückblicken. Er hatte „klein angefangen, sich zunehmend vervollkommnet, um mit ungefähr dreißig, dann ehrgeizigere Vorhaben anzupacken- Banken, Lohngelder, Goldvorräte.“ Jetzt steckt er in einer kritischen Phase: Verschiedene Coups waren in der jüngsten Vergangenheit schief gegangen und ihm fehlt jetzt das Geld, weitere Coups vorzubereiten. Zu allem Überfluss hat das Syndikat ein Kopfgeld auf seine Liquidierung ausgesetzt und das macht down-under zu einem gefährlichen Pflaster für ihn. „Nicht zum ersten Mal musste er wieder bei null anfangen, doch aus irgendwelchen Gründen stellte er seit neustem langfristige Überlegungen an.“ Und Wyatt hat noch eine offene Rechnung mit dem Mescis-Clan zu begleichen. Sie hatten ihn in der Vergangenheit um 200,000 Dollar betrogen (von dem im dritten Wyatt-Roman „Hinterhalt“ erzählt wurde). Wyatt nimmt Kontakt über den pensionierten Berufsverbrecher Rossiter zu seinem alten Partner Frank Jardine auf. Gemeinsam stören die beiden erstmal die operativen Geschäfte des Syndikats, um einerseits die Aussetzung des Kopfgeldes auf Wyatt zu erreichen und andererseits einen Vorschuss für die Ausschaltung des Mescis-Clan zu bekommen. Aber ihre Pläne kollidieren mit den Interessen anderer, die gänzlich andere Absichten verfolgen: „Bisher war immer der Ertrag das bestimmende Motiv seines Handelns gewesen. Diesmal jedoch hatten sich zusätzlich Rachegedanken Einlass verschafft.“ Victor und Leo Mesic: Nach dem Tod des Vaters, dem Clanchef Karl Mesic, droht den beiden Brüdern der Verlust ihrer lukrativen Geschäfte, weil Konkurrenten ihre Schwäche auszunutzen versuchen. Bax: Der korrupte Detective steht auf der Lohnliste des Mesics-Clans und ist heimlicher Geliebter der Ehefrau von Leo, Stella Mesic. Bax fürchtet nichts mehr als den Verlust seines Lebenstandards, nämlich teure Klamotten und schnelle Autos. Rossiter: Der ehemalige Berufsverbrecher hat sich aus seinen früheren, erfolgreichen kriminellen Geschäften zurückziehen müssen, als ein Killer ihn übel zurichtete, um Wyatts damaligen Aufenthaltsort heraus zu bekommen. Eillen, seine Ehefrau, und Niall, sein Sohn und Neonazi, sind deshalb gar nicht gut auf Wyatt zu sprechen. Napper: Der korrupte Sergant ist geschieden und die Alimentezahlungen an seine Frau und Tochter haben ihn an den Rand des finanziellen Ruins gebracht. Er sucht verzweifelt Geldquellen, um die sich türmenden Rechnungen bezahlen zu können. „Wollte er für den Rest seines Lebens so weitermachen? Würde seine Courage ihm treu bleiben? Wenn er aufhörte zu arbeiten (ein Ende durch Festnahme, Verletzung oder Tod fand keine Berücksichtigung in seinen Erwägungen), besäße er dann ein hinreichend dickes finanzielles Polster für ein angenehmes Leben?“ Garry Disher erzählt einen komplexen Plot aus den unterschiedlichen Perspektiven seiner Protagonisten. Souverän verknüpft er dabei die einzelnen Erzählstränge, er wechselt Schauplätze und Perspektiven, beschleunigt und bremst das Tempo und man folgt gespannt und fasziniert seinen Geschichten. Disher erschafft lebendige, unverwechselbare Charaktere, deren Schicksal uns bis zum bitteren Ende fesselt. Die zunächst ruhig dahin fließende Geschichte verdichtet sich mehr und mehr bis hin zu einem furiosen Finale. Garry Disher erzählt seine Geschichte sehr filmisch, knappe Beschreibungen, knappe Dialoge. Sein Stil ist lakonisch, trocken und trotzdem packend. Beeindruckend ist die düstere, hardboiled Atmosphäre und die Zwangsläufigkeit, mit der die verschiedenen Interessen der Protagonisten sich in einem großen, explosiven Finale entladen. Dishers Roman zeichnet sich aber auch durch Ironie, Humor und Persiflage aus. Napper, die heimliche Hauptfigur, wird bis an den Rand der Lächerlichkeit geführt und doch ist er es, der die Zündschnur in Brand setzt. „Er schüttelte den Kopf. Ich unterscheide mich nicht im Geringsten von anderen Männern meines Alters, dachte er, mache mir Gedanken über die Jahre bis zum Ruhestand, bis zum Tod.“ Garry Dishers Wyatt-Romane stehen in der Tradition Donald E. Westlakes, der in den 60er Jahren Furore mit seinen Romanen um den professionellen Dieb Parker machte. Dishers Protagonisten sind ebenfalls Kriminelle und korrupte Bullen. Disher zeichnet dabei seine Figuren als gewöhnliche Menschen mit normalen privaten und beruflichen Problemen. Wyatt plant nicht den großen Coup, sondern sein krimineller Job dient dem ganz normalen Broterwerb. Seine jüngsten Fehlschläge bedrohen seine Unabhängigkeit und zum ersten Mal macht Wyatt sich Sorgen um seine Zukunft. Deutlicher als in seinen früheren Romanen gibt Disher Wyatt menschliche Züge. Er ist nicht mehr der eiskalte Profi, dem niemals Unsicherheit oder Zweifel an seinen Fähigkeiten, eine riskante Situation zu meistern, zu schaffen machen. Wyatt wird zunehmend bewusster, dass er ein Anachronismus in den Zeiten von Kreditkarten und elektronischen Geldtransfers ist, mit seinem Bestreben ausschließlich Bargeld bei seinen Überfällen zu erbeuten. Mit Wyatt hat Disher eine faszinierend ambivalente Figur geschaffen, die man wider Willen sympathisch findet. „Willkür“ wird in einem Sog erzählt, der den Leser mitreißt und ihn nicht ruhen lässt, bis die 250 Seiten verschlungen sind. Ein absoluter page-turner. Wyatt macht süchtig … nach mehr Geschichten von Wyatt. Garry Disher beweist mit seinem 4ten Wyatt-Roman seine große Klasse. Er muss einen Vergleich mit dem großen Donald E. Westlake nicht scheuen. Unbedingt empfehlenswert!!!
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Gary Dishers australischer Berufsverbrecher Wyatt ist ein Musterexemplar dieser Gattung, und nach langem Warten ist nun endlich „Willkür“, der vierte Band der Serie, auf Deutsch erschienen. Es ist weniger die viel beschworene „Ganovenehre“ als der pure Selbsterhaltungstrieb, der Wyatt nach einem misslungenen Coup in der „roten Dreckswüste Südaustraliens“ dazu bewegt, den Kampf mit dem Melbourne-Syndikat aufzunehmen.
TAZ Crime Scene/ Kolja Mensing vom 21.8.2004

Er hat seine Regeln, und er lässt niemals zu, dass sie gebrochen werden. Wyatt ist ein Berufsverbrecher alter Schule. Er operiert in Australien, bevorzugt in Melbourne. Ein kühler Freiberufler, der Gewalt nur dann anwendet, wenn es sich nicht vermeiden lässt – und der alle Schritte genau durchdenkt, bevor er handelt. In „Willkür“ hat Wyatt eine alte Rechnung zu begleichen: Eine lokale Melbourner Verbrecherfamilie namens Mesic hat ihn um die Früchte seines letzten Coups betrogen. Wyatt liegt auf der Lauer, kundschaftet Rituale und Gewohnheiten seiner Gegner aus. Aber der Berufsverbrecher hat keinen guten Stand: Er ist fast pleite – und ein großes Mafiasyndikat, dem er in die Quere kam, hat ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Allen detaillierten Plänen, aller Vorsicht zum Trotz wird der Jäger deshalb bald auch zum Gejagten … Ein korrupter Polizist arbeitet auf eigene Rechnung, um die Unterhaltszahlungen für seine Tochter leisten zu können. Eine Gangsterbraut wird zur Mörderin, um der elenden Tristesse ihres Lebens zu entfliehen. Ein alternder Ganove muss machtlos zusehen, wie er seinen Sohn an Rechtsradikale verliert. Und ein Verbrecher alter Schule versucht zugleich, sich weiter mit Hirn und Ehre durchzuschlagen, in einer Welt, die immer mehr aus den Fugen gerät. Das sind einige der Geschichten, die Garry Disher in „Willkür“ erzählt. Der Australier ist ein kompromissloser Erzähler ohne Hang zur Versöhnlichkeit, ein eiskalter Analytiker, ein unbestechlicher Moralist. Das Genre des Gangsterromans, das beweist auch sein neuer Wyatt-Roman, hat Disher um eine zeitgemäße Variante bereichert: Als ganz eigenen, australischen Kommentar zum Überleben des Einzelnen im wild wuchernden Kapitalismus.
WDR vom 16.8.2004/ Ulrich Noller