Rezensionen – Ketzerei in Orange

Pulp und die Moderne. Krimi und die Theorie vom Werden der Kunst im Auge des Betrachters. Das passt nicht? Passt! In Charles Willefords „Ketzerei in Orange“. … Willeford (1919 – 1988) wurde mit seinem Hoke-Moseley-Romanen in den Achtzigern auch hierzulande einem überschaubaren Publikum bekannt, seine frühen Pulpromane suchte man meist vergebens. Zu ungewöhnlich, zu sperrig, zu grotesk. Es waren Versuchsreihen, die die Wirklichkeit ausloteten, indem sie diese Wirklichkeit eine Spur nur in Richtung des Grotesken ausdehnten. Die Welt der Kunst, wie sie uns Figueras mit tiefen Gedanken aus gelehrten Worten erklärt, ist die Welt schlechthin. Eine Interpretationssache, ein Wust von Theorie und sich selbst erzeugender Kausalität, man darf nicht über diesen Tellerrand hinausschauen, denn es könnte einem vor so viel Groteskem grauen. Sinn macht nur, was man vorher mit Sinn ausgestattet hat. … Das hätte nun ein furchtbar langweiliges Traktat werden können, doch Willeford kann schreiben. Sehr diszipliniert führt er seinen James Figueras auf dem schmalen Grat zwischen Alltag und Abgrund, Normalität und Irrwitz. Alles was in diesem Krimi passiert, ist so gewöhnlich wie außergewöhnlich. Wirklich normal hingegen ist kaum etwas, abgesehen von Jacques Debierue selbst, der sein Scheitern erträgt und in den Banalitäten des Lebens überlebt, und Figueras’ Freundin, einer biederen Englischlehrerin aus Duluth / Minnesota (pikanterweise auch der Geburtsort Bob Dylans), die naiv richtige Fragen stellt und intellektuell falsche Antworten bekommt. Figueras dagegen existiert ebenso wenig wie die Kunst, die er kritisiert und damit erst zur Kunst macht. Am Ende zahlt er den Preis.
… Einen Mord, wie gesagt, gibt es auch. Aber Achtung, liebe Theoretiker des konventionellen Krimis: Der Mord ist hier nicht Ausgangspunkt, sondern Resultat, kein Ermittler löst den Fall, sondern die Geschichte selbst stellt die Gerechtigkeit wieder her. Das ist groß, das ist Willeford.
-dpr /Watching the detectives

Debierue = Willeford ??? Das besondere Meisterstück Willefords in diesem Roman liegt nicht nur in der perfekten Inszenierung des Antihelden James Figueras (der sich keine Mühe zu machen braucht, als egoistischer, ehrgeiziger und geldgeiler Chauvi durchzugehen), sondern vor allem in der Konzeption des Künstlers Debierue. … Trotz des vergleichsweise hohen Preises ist Willefords „Ketzerei in Orange“ eine Empfehlung wert. Ein erster Volltreffer im Krimi-Jahr 2006. Kompliment auch an den Maas-Verlag, der sich an die Veröffentlichung getraut hat. Die Krimi-Couch wartet gespannt, ob noch weitere Willefords in Zukunft erscheinen werden.
-Thomas Kürten

„Ketzerei in Orange“ gilt in Noir-Kreisen bereits seit langem als eines von Willefords besten Werken. Auch diese 1971 erstmals erschienen Abrechnung mit dem Kunstbetrieb hat, wie „Die schwarze Messe“, nichts an Aktualität und Brisanz verloren. In dem Noir-Roman „Ketzerei in Orange“ rechnet Willeford eiskalt und satirisch mit der Kunstwelt ab. Einer Welt, in der nicht das Können des Malers, sondern die Nachfrage nach seinen Werken, den Preis bestimmt. Eine Welt, in der Kritiker mit ihren Artikeln den Preis mitbestimmen. Und eine Welt, in der Sammler für begehrte Werke alles gäben. Und wieder erzählt Willeford die Geschichte aus der Sicht eines ehrgeizigen Psychopathen. Einem Hallodri, für den die Anerkennung seiner Kollegen, gemessen an lobenden Erwähnungen in deren Artikeln, wichtiger als ein Menschenleben ist. Dass er letztendlich seinen Ruf auf einer Lüge aufbaut, ist ihm herzlich egal. Denn immerhin gelingt es ihm so, zu Amerikas wichtigstem Kunstkritiker zu werden. Mit Willefords Büchern „Die schwarze Messe“ und „Ketzerei in Orange“ auf dem Nachttisch können Noir-Fans die Wintertage angenehm überstehen
-Die Kolumne von Axel Bussmer

Charles Willefords Werk steht quer zu allen Massstäben, die die Wahrnehmung von Literatur prägen. Es ist als Bastard aus literarischer Moderne und abgründiger Genre-Literatur weder E noch U, es ist zugleich subtil und brachial. Seine Romane sind auch politisch, kennen aber keine Botschaft, schon gar nicht die der political correctness. Sie sind ungeheuer komisch und zugleich von brutaler Ernsthaftigkeit. Den Durchbruch erlebte Willeford spät, mit den vier Romanen um Kommissar Hoke Moseley. Die deutschen Erstausgaben seiner frühen Pulp-Grotesken und , bringen den typischen Willeford-Ton zum Klingen. Die Art, wie in beinahe sämtliche Tabu-Themen der US-Gesellschaft in einer einzigen grossen karnevalistischen Geste verlacht werden, kennt nicht ihresgleichen. Willeford denkt und erzählt den schönen amerikanischen Traum vom kapitalistischen Liberalismus radikal zu Ende. Wer Lesestoff jenseits des Üblichen sucht, wird bei Willeford sicher fündig.
Achtung: süchtigmachend!
-Lesestoff