2018 konnten wir uns nicht beklagen. Zwar stellte die Frankfurter Buchmesse einen Rückgang von sechseinhalb Millionen Lesern fest und die Stimmung auf der Messe war dementsprechend desillusioniert, gleichzeitig jedoch konnten wir mit Tom Franklins »Krumme Type, krumme Type« eigentlich alle Klippen umschiffen und sogar lange die vorderen Plätze belegen.
Dass es uns nun doch noch erwischt, hat mit der Insolvenz des systemrelevanten Buchlogistikers Koch, Neff & Volckmar (KNV) zu tun, der 5.600 Buchhandlungen quasi über Nacht mit seinem Bücherwagendienst beliefert hat. Lange Zahlungsziele gegenüber dem Großhandel bedeuten nun, dass wir mit vielen anderen am Limit agierenden Verlagen nicht mehr mit unserem Geld aus dem über KNV abgewickelten Weihnachtsgeschäft rechnen können. Die Wachstumsjahre sind vorbei, der Konkurrenzkampf samt Konditionenpoker der Zwischenbuchhändler tobt und die riesigen Investitionen in das neue, moderne Logistikzentrum in Erfurt haben sich für KNV nicht rechtzeitig amortisiert. Wie die Insolvenz nun zeigt, hat das teure Consulting nicht funktioniert. Die Gebeutelten sind die KNV-Beschäftigten und die Verlage, die mit einem Forderungsausfall womöglich selbst in die Insolvenz rutschen, wenn sie in ihrer Strategie hauptsächlich auf das Weihnachtsgeschäft gesetzt haben. Klar, Solidarität mit den Beschäftigten und der Erhalt des Buchlogistikers gehen vor. Man sollte dabei aber auch bedenken, dass kleine Indie-Verlage wie wir Produkte generieren, für die es noch gar keinen Markt gibt. Wir erfüllen nur unsere kulturelle Mission. Wir investieren Zeit und Geld in aufklärerische Visionen der Weltverbesserung mit einer Prise Entertainment, ganz untypisch für die neue neoliberale Marktwirtschaft, die global auf Quantität, steuerbegünstigte Unternehmensmodelle und niedrige Produktionsfaktoren samt limitierter Standards in puncto Umwelt und Unternehmensmitbestimmung setzt. Pulp Master hat seit jeher versucht, diese Entwicklung mit einem verlegerischen Konzept zu konterkarieren, indem hohe literarische Qualität in trashiger Aufmachung versteckt wurde. Entgegen dem kapitalistischen Trend, minderwertige Massenware, die gerade mal so den Garantiezeitraum übersteht, in schmucker Hochglanzplastikverpackung aufzuhübschen. Sprechen wir hier wirklich noch von einem soliden, stabilen Geschäft? Was wollte uns Autor John Steinbeck mit folgendem Zitat mitteilen?
»Der Beruf des Bücherschreibens lässt den Pferderennsport wie ein solides, stabiles Geschäft erscheinen.«
Wie wahr. Auf ein Pferd zu wetten erscheint dieser Tage chancenreicher, als es mit dem Buchmarkt zu versuchen. Na gut, dann soll eben der Schnellere, Bessere gewinnen, alles andere ist nur nicht systemrelevante Augenwischerei. Oder Heuchelei.
Wobei wir wieder bei unserem Schützling Mooniac wären, dem eine harte Saison 2019 bevorsteht.
Nach dem Abgang des Listensiegers Balmain nach Australien ruhen die Hoffnungen von Trainer Roland Dzubasz auf seinen Dreijährigen, schreibt die Sportwelt. In der Stallparade beschreibt der Trainer Mooniacs Bodenvorlieben als nicht zu fest und sieht ihn auf Distanzen ab 2200 Meter: »Ein echter Steher, der bei zwei Starts verbessert gelaufen ist, auch für ihn gilt: Die ersten Starts werden zeigen, ob er für das Derby oder für Auktionsrennen in Frage kommt.«
Schwierig wird es nun, passende Rennen zu finden. Die Start- und Qualifikationsmöglichkeiten für einen Dreijährigen schrumpfen weiter, Galopprennbahnen werden dichtgemacht, wie alles, was in dieser neuen Welt nicht mehr rentabel und in Massen konsumierbar erscheint. Die übrig gebliebenen Rennbahnen müssen ihren Betriebsmechanismus aufbrechen, müssen ökonomisch multifunktional agieren und eine neue Überlebensstrategie entwickeln, um nicht eines Tages mit Luxuswohnungen zubetoniert zu werden. Als junger Mensch haben mich Box- und Galoppsport förmlich angezogen, weil mich die Alles-oder-nichts-Mentalität fasziniert hat, die wortlose Dramatik, die mit dem Zur-Schau-Stellen von physischer Stärke und Willenskraft einhergeht. Ich habe darin eine Metapher für das Leben selbst gesehen, für das Risiko, nach hartem, langem Training die Schmach einer Niederlage einzustecken und daran zu wachsen, oder mit einem Sieg zu triumphieren, der aber gleichzeitig immer auch der letzte gewesen sein könnte.
Vielleicht büßt das alles gerade an gesamtgesellschaftlicher Bedeutung ein, weil der finanzielle Druck allerorten zunimmt, die Siegmöglichkeiten für ein Individuum abnehmen und weltweit immer weniger erfolgreich teilhaben können. Vielleicht brauchen junge Leute diese Metapher heute gar nicht mehr, weil sie längst begriffen haben, dass sie selbst zu einer geworden sind. Zu einer Art Ware in einem marktradikalen System, in dem der Mensch als Arbeitskraft und die Natur als Ressource betrachtet werden; in einem System, wo alle Formen der Kommunikation in den sozialen Massenmedien der Wertschöpfung anheimfallen und auf der untentgeltlichen Arbeit ihrer Nutzer beruhen.
Nun habe ich mich doch etwas vergaloppiert. Wie auch immer die sportliche Saison mit Mooniac ausgehen wird, sie hat auf alle Fälle diesen mit »Neue-Wege« betitelten Blog mit interessanten Crossover-Gedanken gefüllt und parallele Entwickungen in zwei unterschiedlichen, mir aber am Herzen liegenden Branchen aufgezeigt. Ich habe Gedanken entwickelt, die ich sonst womöglich gar nicht gehabt hätte, und sie hat mich – was am wichtigsten ist – einem edlen Wesen mit ganz eigenem Charakter nähergebracht. Mooniac ist einfach umwerfend. Cool. Jede Begegnung, jeder Besuch im Stall ist etwas Besonderes. Nicht auszumalen, was passiert, wenn jetzt auch noch der Fahrplan Gestalt annimmt und die wortlose Dramatik zunimmt.
2010. Besuch in Coolmore beim berühmten Sire Sadler's Wells.