PUBLICATUS TYRANNUS REX
Frank Nowatzki wurde 1964 in Berlin geboren und ist gelernter Verlagskaufmann. Von 1988 bis 1992 gab er die Black Lizard Bücher heraus. Seit 1995 ist er der verantwortliche Herausgeber der Reihe Pulp Master. Er war außerdem passionierter Amateurboxer und Gitarrist bei Beton Combo und den ClitCops.
Angelika Müller, geboren 1954 in Berlin, Magister in Germanistik und Politologie, zeichnet seit 1988 als Lektorin und Übersetzerin für die Reihe Pulp Master verantwortlich und lässt sich von Rammstein und Velvet Underground inspirieren.
4000 ist ein Hamburger Künstler, Jahrgang 63, gelernter Druckvorlagenhersteller. Seit 1983 hat er mehr als 3000 Bilder verkauft. Er illustriert die Cover der Reihe Pulp Master. http://www.viertausend.com
Ango Laina (Heinz-M. Vogel), geboren 1947 in Faßberg (Celle). Er ist Buchhändler, Diplomdesigner und studierte Ägyptologie, Iranistik, Klassische Archäologie und Finnougristik in Hamburg. Er schrieb Feuilletons und Kritiken für den Rundfunk und veröffentlichte in Zeitschriften und Anthologien. Seit Ende der 80er Jahre arbeitet er auch als Übersetzer für Englisch, Französisch, Ungarisch.
Der Film zum Verlag
Wir über uns
Irgendwann in den Achtzigern ging es los, dass ich begann, ein eigenständiges Sub-Genre inmitten der Masse an Kriminalliteratur für mich zu entdecken und qualitative Unterschiede wahrzunehmen. Zu Gast in San Francisco, bekam ich von einer Freundin die RE/SEARCH-Ausgabe von Charles Willefords Debüt HIGH PRIEST OF CALIFORNIA mit folgender Widmung geschenkt:
… the ultimate in cool in California right now …
Burroughs-Verehrer V. Vale hatte RE/SEARCH mit wenigen Hundert Dollar Startkapital gegründet, die er unter anderem von Allen Ginsberg für das Punkmagazin SEARCH & DESTROY erhalten hatte. Dass ein ehemaliger Pulp-Writer wie Charles Willeford ausgerechnet im Punk-Umfeld wieder entdeckt wurde, war kein Zufall. Denn Willeford hatte das schöne Cadillac-Amerika gnadenlos demaskiert und für dieses Unterfangen einen fiesen, selbstgefälligen Antihero geschaffen. Ein obsessives Macho-Arschloch, das seine eigene Auffassung vom American Way of Life zelebriert und Spaß daran hat, seine Mitmenschen zu manipulieren. Das hier war ein ganz anderes Kaliber als die Whodunits und Krimis, die ich bisher kannte. Buchstäblich angefixt, stieß ich unweit von San Francisco, in Berkeley, auf die BLACK LIZARD BOOKS und den Herausgeber Barry Gifford (Wild at heart), der weitere Willefords und andere Pulp-Poeten wie Jim Thompson und Paul Cain wieder veröffentlichte. Autoren, deren Bücher im Laufe der Jahrzehnte in Antiquariaten verstauben und vergilben. Autoren, die ihre Bücher entgegen dem damaligen Zeitgeist mit psychopathischen Fieslingen bevölkert hatten und dem Leser eine andere Sicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse darboten: die des Antiheros. (mehr dazu in Band 10)
Ich hatte gerade meine Ausbildung im ESV Berlin als Verlagskaufmann absolviert, einen gut dotierten Posten als Gruppenleiter beim wissenschaftlichen Springer-Verlag in Heidelberg übernommen und Berlin somit den Rücken gekehrt. Außer durchzechten Clubnächten tat sich hier nicht mehr viel. Aus dem Punk war die Luft raus, der Ausverkauf hatte begonnen. Meine Band BETON COMBO (hier im S.O.36 anno 1982)
hatte sich vorsichtshalber schon mal selbst aufgelöst. Alles hätte sich im beschaulichen Heidelberg zum Guten wenden können, wenn sich mein direkter Vorgesetzter nicht als eines dieser schrägen Willeford-Arschlöcher entpuppt hätte (und wenn die gelbe Ullstein-Krimireihe meine Heroen nicht mit einfallslosen Krimi-Klischee-Titelbildern entweiht hätte). Diese Mixtur aus Mobbing, Intrigen und Manipulation innerhalb einer Firmenoligarchie wäre mir ohne die Lektüre des Noir vermutlich gar nicht so auf den Sack gegangen, und angesichts der Kohle und des 71er V8 Rovers, den ich mir nun endlich leisten konnte, hätte ich das Problem auch bequem aussitzen können. Doch irgendwie fühlte ich mich berufen, das Genre neu zu sortieren und den mir wichtigen Autoren einen bescheidenen, aber würdigen Einstieg zu ermöglichen, statt sie in einer Wald- und Wiesenreihe als Nummer 562 mit einem lieblosen Cover untergehen zu sehen. Jedenfalls zog ich bei Springer die Notbremse, kündigte, ging nach zwei Jahren Exil wieder zurück nach Berlin und fragte bei BLACK LIZARD in Berkeley an, ob man an einem deutschen Franchising Unternehmen interessiert sei.
Man war interessiert. Also holte ich meinen Kumpel Ralf Preußner ins Boot, der mich auf der USA Westcoast-Tour begleitet hatte, pumpte mir Geld, schrieb einen Businessplan, ging von Bank zu Bank, bis die Berliner Bürgschaftsbank letztendlich grünes Licht gab.
In den Jahren 1989 bis 1992 erschienen sechs Titel, darunter Jim Nisbet, der ewige Geheimtipp, und der Brite Ted Lewis. Sein Landsmann, Derek Raymond, erhielt 1991 sogar den Deutschen Krimipreis für ICH WAR DORA SUAREZ.
Doch Zinsen und Kosten für Lizenzen, Druck und Übersetzungen waren schlicht und ergreifend zu hoch. Die Rechnung ging einfach nicht auf und ich musste wieder tagsüber als Verlagskaufmann jobben, um die Schulden abtragen zu können, und mir nachts als Türsteher die Beine in den Bauch stehen, damit ich ein bisschen Bares in der Tasche hatte.
In einer schrägen Country-Bar namens „Hop Sing“ in Schöneberg begegnete ich dann 1993 Erich Maas, der ähnlich frustrierende Erfahrungen mit seinem Buchverlag gemacht hatte und trotz guten Programms (u.a. Funny Van Dannen, Thomas Kapelski) mit seinem Verlag ebenfalls nicht richtig in die Gänge kam. Erich war Jahrgang 1952 und hatte Kunst studiert, bevor er seinen Verlag gründete. Ungeachtet des unterschiedlichen Backgrounds, nur das gemeinsame Ziel vor Augen, einen unabhängigen Verlag zu etablieren, fusionierten wir kurz nach unserer ersten Begegnung. Es war die Entscheidung, sich vom Nimbus des idealistischen Einzelkämpfers zu verabschieden und Kosten und Ideen zu bündeln, um das Programm in mehrere Richtungen erweitern zu können. Inzwischen jedoch wurde BLACK LIZARD an Random House verkauft, und die drohten mir – gültige Verträge hin, nachwirkende Verträge her – mit ihren Anwälten, sollte ich auf den Namen BLACK LIZARD bestehen. Diese Sache hätte ich nur zu gern im Ring ausgetragen,
doch letztendlich lernte ich so, dass Verträge wertlos sind, wenn man es mit einem Konzern zu tun bekommt und sich auf diesem Level nicht wehren kann. Fairer Kapitalismus funktioniert nur, wenn sich die Partner auf Augenhöhe befinden, und da sie das selten sind, kann man in den seltensten Fällen von Fairness sprechen. Zumindest entstand so die Reihe Pulp Master. Eine erschwingliche Taschenbuchreihe (ich finde es unfair, 20 Euro für ein Hardcover hinlegen zu müssen, um einen neuen Autor entdecken zu können, der einem dann vielleicht doch nicht gefällt) mit Erst- und Originalausgaben, die als Reverenz verstanden werden will an die großartigen Pulp-Magazine und Paperback Originals der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre, in denen der stilistische Grundstein des modernen Realismus gelegt wurde. Autoren wie Raymond Chandler, Dashiel Hammett, William S. Burroughs, Jack Kerouac, Jim Thompson und Philip K. Dick publizierten ihre Storys und Romane zuerst in den Pulps. Von der offiziellen Literaturkritik als Schund ignoriert, bot sich hier ein von Konvention und Zensur unbehelligter Raum, in dem die Autoren gesellschaftlich verdrängte Phänomene wie Gewalt, Kriminalität, Sexualität, Drogen und Rassismus thematisieren konnten. Bei Pulp Master nun sollten zeitgenössische Autoren diese explosive Mischung um aktuelle Themen erweitern und neben wieder entdeckten Klassikern dazu beitragen, die erste Genre übergreifende Taschenbuchreihe auf dem Buchmarkt zu etablieren. Für die Covergestaltung brachte Erich den Hamburger Künstler 4000 ins Spiel, der den Stil der bunten Sex & Crime Pulp Art in die heutige Zeit umsetzt. In der Bildenden Kunst arbeitet sich 4000 an ein ähnliches Ziel heran wie die Autoren der Reihe in ihren Texten. Beides ergänzt sich optimal und ist konzeptuell schlüssig.
pulp fiction
Und es begann auch gleich mit einem Paukenschlag: Der Spiegel und das Schweizer Magazin Facts brachten 1994 jeweils ein längeres Feature über Paul Cain (Bd. 2) und die Pulp-Ära.
DER SPIEGEL: „Der kleine Berliner Maas-Verlag hat gleich eine ganze Buchreihe mit dem Titel pulp master gestartet … Quentin Tarantino bräuchte die Dialoge kaum zu aktualisieren, wenn er diese Stories verfilmen wollte, und die Hauptrolle wäre mit John Travolta angemessen besetzt.“
Trotz guter Presse und gutem Start mussten wir nach ein paar Jahren resümieren, dass in Zeiten, in denen der Buchhandel rationalisiert und das Angebot lieferbarer Titel auf dem Büchertisch stetig verkleinert wird, zwangsläufig viele kleine, ambitionierte und von oben gelobte Verlage durch den Rost fallen. Gut rotierende Massen-Titel bringen bei geringeren Händlingskosten eben mehr Umsatz.
Die Literatur selbst wird zunehmend zur austauschbaren Ware (bei Lektoren und Controllern in Großverlagen gilt das als smart), ein Verlag mehr oder minder zum Lieferanten. Je weniger Lieferanten, desto besser. Diversifikation, letztendlich ein entscheidender Faktor für die Qualität einer Buchkultur, muss endgültig der Quantität des Bestsellers weichen.
Ist das noch krimi/crime/noir?
Gleichwohl wurde unsere australische Entdeckung Garry Disher für seinen ersten Wyatt-Roman (Bd. 7) mit dem Deutschen Krimipreis 2000 ausgezeichnet. Ungeachtet kleiner Teilerfolge reichte der finanzielle Spielraum meist nur von Buch zu Buch, und ich war immer öfter an dem Punkt, alles hinzuschmeißen, bis irgendwann die regelmäßigen Lizenzanfragen hinzukamen und wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen war. Erich widmete sich mehr und mehr dem Internet und dem Verlagsserver TXT. Hier sah er die Chance und die Zukunft der kleinen Verlage.
Als Erich am 12. April 2001 im Rudolf Virchow verstarb, war der absolute Tiefpunkt erreicht und Sinn und Zweck dieses langjährigen, nebenberuflichen Einsatzes an der Verlagsfront einmal mehr in Frage gestellt. Ein Jahr zuvor hatte ich mit Dauerkopfschmerzen im selben Krankenhaus gelegen und auf die Kopf-OP gewartet. Doch im Gegensatz zu Erich hatte ich Glück und bin wieder aufgewacht. Durch die Geburt meiner Kinder
habe ich die Welt neu entdeckt. Ansichten über Leben und Menschheit wurden auf den Kopf gestellt, positive Emotionen walzten negative Gedanken platt und relativierten in dieser Krise finanzielle Sorgen. Das alles mobilisierte weitere Kräfte. Offiziell wurde der Verlag von Erichs damaligen GbR-Partner Carsten Wettreck übernommen, der die Druckerei Trigger und diverse andere Firmen in Kreuzberg betreibt, doch Luft und Vision waren raus. Der Maas Verlag entwickelte sich zusehends zu einer funktionierenden Plattform, über die man Bücher vertreiben und die Fixkosten für Vorschau, Messe und Vertreter teilen konnte. Viel mehr war’s nicht mehr. Die Zeiten, in denen man gemeinsam Ideen ausbrütete und selbst der Buchmesse noch Spaß abringen konnte, waren vorbei.
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Nach jahrelanger Kooperation mit dem Maas Verlag wird Pulp Master von 2006 an eigene Wege beschreiten. Wohin diese Wege nun führen werden, ist momentan nicht ganz klar; klar geworden ist mir in den letzten Jahren nur, dass der Maas Verlag ohne Erich nicht mehr derselbe ist und dass zu viele Köche den Brei verderben und sich zu oft im Weg stehen. DIE SCHWARZE MESSE von Charles Willeford, die mich schon seit der eingangs erwähnten Begegnung in San Francisco begleitet und beeindruckt hat, setzt einen würdigen Schlusspunkt. Alle Mitstreiter können auf bewegte Zeiten zurückblicken, in denen bei Maas mit relativ geringen Mitteln, dafür aber mit umso größerem Engagement versucht wurde, etwas zu bewegen und einen kleinen Beitrag zur Büchervielfalt zu leisten. Pulp Master sah sich immer außerhalb jeder Konkurrenz und hat auf Autoren gesetzt, die anderswo abgelehnt oder schlichtweg vergessen wurden, und mit diesem Credo haben wir es immerhin auf 20 Bände geschafft. Oft bin ich gefragt worden, wie ich zu den meist unbekannten Autoren gekommen bin. Die Antwort ist relativ einfach: Viele dieser Bücher haben mir einfach aus der Seele gesprochen und viele haben das formuliert, womit ich mich selbst gerade beschäftigt habe und was ich nie so hätte zu Papier bringen können. Vielleicht ist es dieser aufklärerische Insiderblick in andere Gedankenwelten, dem ich – jenseits aller Spannungs- und Unterhaltungsaspekte – in der Noir-Literatur so viel Respekt zolle und der mich oft mit der Erkenntnis konfrontiert: Wenn du dieses Buch jetzt nicht machst, geht das alles verloren. Angelika Müller, die einzige Konstante seit den guten, alten Black Lizard Tagen, sorgt mit hingebungsvoller Lektoratsarbeit dafür, dass auch wirklich keine noch so winzige Nuance verloren geht. Ohne dieses Lektorat würde es vermutlich heute keine zwanzig Bände geben.
Ich habe mich damit abgefunden, dass es von nun an wie in den Anfangstagen auf Sparflamme weitergehen muss und dass ich nicht allen eingesandten Manuskripten gerecht werden, geschweige denn alle E-Mails beantworten kann, da ich noch einen anderen Job habe und eine Familie ernähren muss.
Ich habe mich damit abgefunden, dass einfach keine Mittel über die Buchproduktion hinaus vorhanden sind, um das Ganze mit modernem Marketing zu promoten. Ich vertraue weiter darauf, dass die Bücher die richtigen tausend bis zweitausend Leute finden, so wie sie einst mich gefunden haben. Leute mit dem gewissen Blick, die sich nicht von irgendeiner Marketingstrategie einlullen lassen oder ihren Geschmack einem Warenwirtschaftssystem überantworten, für das hoch dotierte Manager verantwortlich zeichnen. Alles in dem Irrglauben, so etwas wäre freie Auswahl.
Literatur aus Berlin: Pulpmaster Buch Verlag
Als Herausgeber möchte ich daher den wenigen Buchhandlungen und Rezensenten danken, die letztendlich die Fahne für Pulp Master hochhalten, und auch all die Mitstreiter nicht vergessen, die über die letzten zehn Jahre einzelne Projekte übersetzt, korrigiert und organisiert haben. Wenn ich jetzt hier jemanden vergessen habe, dann war’s keine Absicht, sondern eher ’ne Gedächtnislücke: Gunter Blank, Simone Salitter, Gabriele Bärtels, Bettina Seifried, Conny Lösch, Silke Buttgereit, Gundula Schmitz, Mario Mentrup, 4000, Ango Laina, Heinz Scheffelmeier, Ulf Schleth und Hannes Schütte. Und natürlich Bela B., der minimum eine Dekade lang die alte Homepage schmückte: »Pulp Master? Lasst den Stoff nicht auf Toilette liegen, es könnte dann deutlich länger dauern!«